Peak Performance in Pinxi

Fertig Trübsal geblasen! Nach der etwas deprimierenden letzten Episode braucht es mal wieder ein erfreulicheres Tagebucheinträgli!

[Warnung: dieser Beitrag enthält (zu) viele Bilder]

Eigentlich war am gestrigen Sonntag ja Ostern, aber hier in Taipei war davon nichts zu spüren. Weit und breit keine Eier und keine Hasen zu sehen.; ich glaube kaum jemand wusste davon (im Gegensatz zu Weihnachten, das in ganz Asien, auch in unchristlichen Gegenden, kommerziell ausgeschlachtet wird). Auch die hiesigen Wettergötter scheinen mit den Ostersitten nicht sehr vertraut zu sein, anders kann ich mir auf jeden Fall nicht erklären, dass just auf’s Wochende hin eine Wetterbesserung bis hin zu „sonnig“ angekündigt war.

Mit schöne(re)m Wetter in Aussicht, beschloss ich ich am Samstag spontan, endlich meine mitgeschleppten aber bisher ungenutzten Wanderschuhe auszupacken. Ich war ja bereits im März einmal wandern (siehe Bericht vom 20. März), dabei handelte es sich aber eher um einen Spaziergang über den Berg, den ich problemlos in den Strassenschuhen absolvieren konnte. Nun stand mir der Sinn nach einer etwas fordernderen Variante. Auf meiner ständig wachsenden TODO-Liste gab es bereits seit Längerem den Punkt „Taiwanesischer Dschungel“; insbesondere auch deshalb, weil ich die riesigen Farnbäume, die es hier überall gibt, unbedingt einmal in Echt sehen wollte. Nach etwas Recherche im Netz fand ich eine Wanderung, die nicht nur viel Natur, sondern auch ein etwas anspruchsvolleres Gelände versprach. Perfetto!

Ich hievte mich also um 6:30 aus dem Bett und packte zwei 飯糰 Fàntuán (gefüllte Reisbälle, ähnlich den japanischen Onigiri, die man in der Schweiz im Coop kaufen kann, aber besser, weil viel mehr Zeug drin!) und ein paar Liter Wasser ein. Dann ging es als erstes per UBike zum etwa 30 Minuten entfernt liegenden 松山站 Sōngshānzhàn, dem zweitgrössten Bahnhof von Taipei, wo ich einen rütteligen Bummlerzug bis nach 瑞芳 Ruìfāng bestieg. Wohlwissend, dass auch die Taiwaner ein wanderlustiges Völkchen sind, hatte ich (wie aus der Schweiz gewohnt) Horden von bunt gekleideten Outdoor-Enthusiasten auf dem Zug Richtung Berge erwartet. Doch dem war überhaupt nicht so. Es hatte kaum Verkehr und um 7:45 Uhr war der Bahnhof komplett verwaist. Nur der Billetschalter und der 7-11 waren offen. In letzterem gab es ausser dem Kaffee-bestellenden Schöberli nur einen einen alten Mann, der sich brummelnd über die fehlenden Tee-Eier beschwerte [1].

Auf nach Pinxi, Hort der guten Wünsche

Nach einer stündigen Fahrt in einem kaum bevölkerten Zug, stieg ich in Ruifang auf einen noch kleineren Zug nach 平溪 Píngxī um. Die Pinxi-Linie ist ein altes Lotterbähnli, welches durch ein wenig erschlossenes Tal in die Berge östlich von Taipei fährt. Die Bahn ist bekannt dafür, dass sie in den meisten Dörfern im Schritttempo mitten durch die Häuser fährt, mit wenig oder ganz ohne Abschrankungen. Ich habe nur ein schäbiges Bild davon, aber das Tourismusbüro von Taiwan (und natürlich das Internet) hat besseres Material am Start.

Wenn „Nahe an der Bahn gelegen“ eine neue Bedeutung erhält
Im Bummelzug nach Pinxi

Pinxi ist nicht zuletzt auch deshalb sehr bekannt, weil die Leute von dort traditionellerweise zur Zeit des Laternenfestes (ca. Februar) hunderte, wenn nicht tausende von 天燈 Tiāndēng (bunte Heissluftballone aus Seidenpapier) in den nächtlichen Himmel steigen lassen.

Ich bin jedoch nicht nach Pinxi gekommen, um Laternen steigen oder mir vom Zug die Zehen plattfahren zu lassen. Nein, ich bin hierher gereist, um die famosen Pinxi-Felsen zu besteigen. Bei diesen Minibergen handelt es sich um drei dramatisch aus dem Dschungel aufragende Felsnasen, die über ellenlange Treppen und Leitern bestiegen werden können und von deren Spitze man eine fantastische Aussicht über die umgliegende Landschaft hat. En Détail:

  1. Filial Son Mountain (孝子山/Xiàozǐ Shān) – 360m
  2. Loving Mother Mountain (慈母山/Címǔ Shān) – 410m
  3. Mount Putuo (普陀山/Pǔtuó Shān) – 450m

Der Wanderweg den Berg hinauf beginnt ganz gemütlich.

Level 1 Wanderweg in Taiwan

Kurze Zeit später erreiche ich über immer steiler werdende Treppen eine Kreuzung. Von hier aus lassen sich die drei bereits erwähnten Berge reihum besteigen.

Munteres Treppensteigen im Urwald, es wird steiler

Das Gelände wird noch steiler und der Weg ist auf den letzten Abschnitten mit Seilen gesichert.

Alle Treppen sind recht einfach zu begehen, aber die Stufen sind teilweise hoch und steil. Es fliesst einiges an Schweiss…

Wie lange hat es wohl gedauert, bis alle diese Stufen rausgeschlagen waren?

Die allerletzten paar Meter werden bei einem der drei Felsen mittels einer Leiter überwunden.

Xiaozi Shan

Nach einer etwas anstrengenden Kraxelei ist erste Gipfel erreicht. Drei Gottheiten wachen über die Gesundheit der Besucher und geben ihren Segen für die nächste Besteigung.

Die Aussicht ist fantastisch, von jedem der drei Gipfel sieht man natürlich die jeweiligen anderen zwei Felsen, alle ragen steil aus dem dicht bewaldeten Gelände auf. Auf den Gipfeln hat es oft nur wenig Platz. Zum Glück hat es heute nur kaum Leute, so dass die Zugänge beim hoch- und runtersteigen nicht ständig verstopft sind.

Es ist kurz nach Mittag, als ich den letzten der drei Gipfel bestiegen und meinen zweiten Reisball verschlungen habe. Die Temperatur ist sehr angenehm, ich habe immer noch viel Wasser übrig und in meinen Beinen ist noch Saft. Daher beschliesse ich, über einen weiterführenden Pfad noch ein wenig das Hinterland zu erkunden. Abseits der für das breite Publikum erschlossenen Felsen wird der Weg rasch deutlich weniger komfortabel und ähnelt schon bald einem weiss-rot-weissen Schweizer Bergwanderweg.

Schliesslich, nach einer letzten Abzweigung, befinde ich mich nur noch auf einem Trampelpfad durch den dichten Wald. Das Gelände bleibt wild und uneben, an vielen Orten muss man sich an Wurzeln und Ästen halten oder hochziehen, um Steigungen zu überwinden. Dann verläuft der Weg eine Zeit lang eben auf einem Rücken, links und rechts geht es steil den Berg runter, das Emmental lässt grüssen. Ab und zu hat es Markierungspfosten mit GPS Koordinaten.

Auf zum 臭頭山 Chòutóu Shān, dem „Stinkenden Kopf Berg“

Auf dem Handy habe ich am Vortag den Verlauf aller Wanderwege in der Umgebung heruntergeladen und kann so verifizieren, dass ich nicht vom geplanten Weg abgekommen bin. Während der GPS-Track des Pfades ziemlich gut stimmt, ist die Karte selber nicht all zu genau; insbesondere die Höhenlinien sind nur als grobe Annäherung zu verstehen. Wie sollte man auch wissen, wie es unter diesem ganzjährig dicht überwachsenen Gelände wirklich aussieht! Für eine weitere Stunde geht es weiter durch die knallgrüne Waldlandschaft mit allerlei wunderschönen Pflanzen, immer weiter den Berg hinauf.

Schlussendlich gelange ich an eine beinahe senkrecht aufragende Felswand. In einem etwa 50m ansteigenden Einschnitt sind einige Seile ausgelegt und es gibt wenige, grob in den Fels gehauene Tritte, die allerdings glitschig sind.

Zeit umzukehren, das Schicksal fordere ich ein anderes mal heraus

Ich bin schon eine ganze Weile unterwegs und nicht mehr ganz frisch. Mich hier ohne Sicherung mehrere Dutzend Meter hoch an Seilen bis ans obere Ende der Felswand hochzuziehen ist mir zu gefährlich. Ich bin alleine unterwegs; falls ich ausrutsche, mich nicht zu halten vermag und abstürze, dann kann das hier ein übles Ende nehmen.

Ich mache also rechtsum kehrt und trotte den ganzen Weg wieder zurück. Macht nix, die Landschaft lässt sich auch in die andere Richtung gehend geniessen.

Zur Erinnerung: Taipei ist nur etwa 30km Luftlinie entfernt

Immer wieder sieht man die bereits zu Beginn erwähnten urzeitlichen Farnbäume. Huch, was raschelt dort? Ist es ein Rudel Velociraptoren? Schluck!

Jurassic Park lässt grüssen!

Schlussendlich erreiche ich mit leicht heraushängender Zunge am späteren Nachmittag wieder Pinxi. Den abgehenden Zug habe ich gerade verpasst und muss darum eine Stunde warten. Ich gönne mir einen Teller gebratene Wildsau aus der Gegend und beobachte von der Restaurant-Terrasse aus den Touristentrubel.

Zahlreiche Besucher machen von der Möglichkeit Gebrauch, auch ausserhalb der Laternenfestival-Zeit einen Ballon zu den Göttern aufsteigen zu lassen. Dass die Himmelslaterne bei Tageslicht nicht ganz so romantisch leuchtet ist kein Hinderungsgrund, denn das Götterbüro ist rund um die Uhr offen.

Damit die eigenen Wünsche bei der spirituellen Obrigkeit ankommen, muss folgendes getan werden:

Schritt 1: In einem der vielen Läden einen Ballon in der gewünschten Farbe kaufen. Die Farbe ist keine Frage des Geschmacks, sondern sollte entsprechend den Wünschen an die Zukunft ausgewählt werden. Rot: gute Gesundheit, Gelb: Reichtum, Orange: Glück, Pink: Liebe, Violett: Intelligenz, Pfirsichfarben: Glückliche Partnerschaft, Weiss: Strahlende Zukunft (was immer das bedeuten mag), Grün: Prüfungsglück, Hellblau: Erfolg bei der Arbeit. Die Ladenbesitzer sind natürlich nicht auf den Kopf gefallen und bieten auch Ballone mit 4, 6, 8 und 9 Farben an, wobei jede zusätzliche Farbe eine Handvoll (Taiwan) Dollar mehr kostet; das unermüdlich schaffende Schicksal muss schliesslich auch von etwas leben.

Schritt 2: Der Ballon wird dicht mit den eigenen Wünschen für die nahe oder ferne Zukunft beschrieben.

Schritt 3: Gruppenfoto mit Ballon

Schritt 4: Brenner montieren, anzünden, warten.

Schritt 5: Sobald genügend heisse Luft im Ballon: steigen lassen, jubeln, Bye Bye winken und Foto Foto Foto!

Das ist wirklich ganz nett anzuschauen, die Leute sind alle total happy. Leider muss ich nach meinem mehrstündigen Waldschrat-Trip anfügen, dass es mit der Umsetzung von Schritt 6 noch etwas hapert: nämlich all die abgestürzten Ballone wieder aus den Baumkronen und dem Unterholz in der umliegenden Natur einzusammeln…

One day, I want to be a beautiful butterfly!

Für mich gibt’s deshalb keinen Ballon, ich gönne mir aber, 7-11 sei Dank, zur Feier des perfekt verlaufenen Tages ein Kägifret; wie es sich für die Einkehr nach einer anstrengenden Wanderung gehört.

Danach geht’s mit dem Ruckelzug wieder zurück nach Taipei, wo ich nach meiner Ankunft erschöpft, aber äusserst glücklich, in mein Bett falle. Die Oberschenkel rupfen bereits ein wenig, ich glaube, ich kann mich auf einen ziemlichen Muskelkater gefasst machen.

The End

Doppelt gemoppeltes Ende! Diese Episode markiert nämlich auch offiziell das Ende meiner Krise!

Die Götter haben meine Wünsche offenbar auch ohne Ballonvehikel erhalten und mir letzte Woche eine neue Lehrerin vermittelt (Grund dafür war, dass sich ein anderer Schüler offenbar kurzfristig dazu entschlossen hat, lieber Taiwan zu bereisen als Chinesisch zu lernen; Thanks mate!). Mit der neuen Lehrerin verstehe ich mich bestens und somit sieht es tatsächlich so aus, also ob der Rest meiner Schulzeit noch in absolut regulären Bahnen verlaufen würde. Meine Motivation ist zurück, die Lernmüdigkeit ist überwunden, ich bin ready für den Endspurt!

Es gilt deshalb ab sofort wieder: 加油! Jiā yóu (hopp, hopp; lit. „Öl hinzufügen/Sprit tanken„)

拜拜, 堯逸遠 - chb

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[1] Tee-Eier, 茶葉蛋 Chá yè dàn, sind ein super Snack, den es typischerweise in jedem Minimarkt wie 7-11 oder Family Mart zu kaufen gibt. Die Schale von hart gekochten Eiern wird leicht aufgeschlagen, danach werden die Eier in einen Sud aus Tee (normalerweise Oolong-Tee) und Gewürzen eingelegt. Durch die Risse der aufgeschlagenen Schale dringt der Sud ins Ei ein, färbt es braun, und gibt zusätzlichen Geschmack.

Ich weiss nicht, warum es an diesem Sonntagmorgen keine Tee-Eier in diesem 7-11 zu kaufen gab; vielleicht wegen der Eierkrise, die vor gut zwei Monaten begann und immer noch anhält. Taiwan hat seit Februar zuwenig Eier, weil die Hühner auf der Insel offenbar nicht genügend Output produzieren; das Thema beherrscht seit Wochen die täglichen News und erhält mindestens gleichviel Gewicht wie die chinesischen Flottenmanöver, wenn nicht mehr. Der Preis für ein einzelnes Ei hat sich seit Februar beinahe verdoppelt, und die Regierung kauft händeringend Milllionen von Eiern im Ausland ein…

[2] Auch dazu gibt es im Internet jede Menge spektakuläre Bilder.

Das chinesische Zeichen für Krise…

Das chinesische Wort für ‚Krise‘ bedeutet auch ‚Chance‘.

John F. Kennedy soll das ursprünglich gesagt haben und auch Nixon’s Redenschreiber fanden den Spruch grossartig. Man kann es Ihnen nicht verdenken; es handelt sich um eine erstklassige Kalenderweisheit. Wer die Karre an die Wand gefahren hat, kann nachher aufs Velo umsteigen!

Aber auch wenn sich zahllose Schlaumeier dieses Bonmot auf geschundene Haut tätowieren lassen, so wird es doch nicht wahr; es ist Quatsch. Das chinesische Wort für „Krise“ ist 危機 Wéijī , das Wort für „Chance“ ist hingegen 機會 Jīhuì. Beide Wörter enthalten das Zeichen 機 , dieses wird jedoch kaum je alleinstehend verwendet; je nach Verwendung ist seine Bedeutung Maschine, Möglichkeit oder Wendepunkt. Aber wenn’s nicht wahr ist, so ist es wenigstens gut erfunden!

Wie dem auch sei, bei mir ist auf jeden Fall letzte Woche die Krise eingetrudelt: Tante Misère, Onkel Desaster, Schwester Malaise und Bruder Schlamassel, alle gemeinsam zu Besuch! Ich habe mich ja schon im Februar gefragt, wann ich wohl in diese Phase eintreten würde, und voilà: nach knapp 6 Wochen war es soweit.

Ich empfand auf einmal übermässig, dass ich immer noch überhaupt nichts könne; dass alles, was ich bis jetzt gelernt hatte, komplett für die Katz‘ sei, weil ich im täglichen Leben kaum je erfolgeich davon Gebrauch machen konnte (wie ich bereits im letzen Bericht andeutete). Und weil ein Unglück selten von alleine kommt, entschloss sich meine Hauptlehrerin just zu diesem Zeitpunkt und ohne Vorwarnung ihr Mandat an den Nagel zu hängen. So kam es, dass mir von einem Tag auf den anderen, eine neue Fachkraft für schulischen Unterricht vor die bereits blutig geschlagene Nase gesetzt wurde.

Illustratives Lehrstück, ohne Zusammenhang

Mit der neuen Lehrerin kam ich vom ersten Augenblick an überhaupt nicht zurecht. Sie spricht nur ungebremstes Chinesisch mit einem relativ starken taiwanischen Akzent. No English. Am ersten Tag verstand ich den ganzen Tag lang nur Bahnhof, nur etwa geschätzte 10% von all dem, was sie zu mir sagte, kamen bei mir an. Bei einem 6-stündigen Unterrichtstag ergibt das sehr sehr viel Unverstandenes. Dazu kam, dass auch ihr Unterrichtsstil komplett anders war: Da sie das Lehrmittel der Schule nicht kannte, benutzte sie es nur wenig, was mir das Gefühl gab, dass der Unterricht kaum Struktur hatte. Sie gab mir Hausaufgaben, die weit über meinen Fähigkeiten lagen und die mich beinahe zur Verzweiflung trieben. Nach dem zweiten Unterrichtstag gingen bei mir die Lichter aus, mein Hirn fror komplett ein, und in schauriger Erwartung des dritten Tages schlief ich hundsmiserabel. Kurz gesagt: Die Hütte brannte, Holland war in Not und bei mir war Matthäi am Letzen. Ich hatte die Freude am Chinesischlernen komplett verloren und überlegte mir ernsthaft, damit aufzuhören. Wie in einem Roman von Adalbert Stifter herrschte während dieser Zeit passenderweise saumässig mieses Wetter; es sträzte, was es sträzen mochte und das Thermometer zeigte um die 16°C; im ungeheizten Zimmer war es Abends 真的不太舒服, zhēn de bú tài shūfú, wirklich nicht sehr gemütlich.

Am letzten Freitag habe ich schliesslich einen Notruf an die Schule abgesetzt, allerdings ist dummerweise gerade jetzt ein sehr langes Feiertagswochenende (Sa-Mi) und ich habe bisher noch keine eindeutige Antwort erhalten. Ich hoffe inständig, dass ich den auf Grund gelaufenen Kahn wieder flott bekomme.

Natürlich hatte das Auswirkungen auf meinen PLHS Score!

Hellgrün ist immer noch 2 Stufen von Supagreen entfernt!

In der letzten Woche (#7) ging es, wenig überraschend, überhaupt nicht vorwärts. Eigentlich müsste ich den Score für Lesen (L) und Sprechen (P) sogar reduzieren. Meine Performance im Unterricht war nämlich absolut unterirdisch, weil mein Hirn nur noch mit Notstrom lief [1].

Bladerunner-Stimmung in Taipei

Heute Mittwoch, 5. April, ist es in Anbetracht der erlittenen Havarie an der Zeit eine erste Bilanz zu ziehen. Captain’s Logbook entry, sozusagen. Mein ursprüngliches Ziel war ja, besser Chinesisch als Französisch zu sprechen [2]. Inzwischen musste ich aber feststellen, dass mein Französisch gar nicht so schlecht ist! Wenn also nicht noch ein Wunder passiert, dann wird das definitiv nix und ich muss meine Erwartungen etwas nach unten anpassen.

Werde ich im Mai also so gut Chinesisch können wie Schwedisch oder Spanisch? Hmm… vielleicht. Ich denke der Wortschatz ist mittlerweile etwa gleich gross oder sogar etwas grösser, aber die Schweden und Spanier verstehen mich vermutlich besser. Lesen ist natürlich sowohl auf Spanisch wie auch auf Schwedisch kein grosses Problem, in Schwedisch kann man die Hälfte aller Wörter aus dem Deutschen ableiten, im Spanischen hilft Französisch enorm. Das heisst, beim aktiven Sprechen komme ich wohl in die Nähe, beim passiven Verständnis (Hören und Lesen) kann mein Chinesisch im Vergleich einpacken.

Es bleibt mir als Trost, dass ich am Ende wohl besser Chinesisch als Russisch und Italienisch sprechen werde. Allerdings kann ich in Italien die Speisekarten definitiv besser lesen; was bei dortigen Aufenthalten, zusammen mit der Fähigkeit, ebendiese Speisen auf italienisch zu bestellen, ein unschlagbares Plus ist. Zudem dürfte ich beim Karaoke mit italienischen Canzoni mehr Herzen gewinnen als mit chinesischen Schlagern.

Wenn dir das Leben Spargeln gibt, mach Spargellimonade

Wie geht es weiter? Auch wenn der Spruch mit den chinesischen Zeichen für Chance und Krise auf alternativen Fakten basiert, so bin ich doch mit seiner Kernaussage einverstanden: jede Krise kann auch eine Chance sein (vermutlich stimmt das auch umgekehrt, gibt es darüber Bücher?).

In aller Regel tritt man aus überstandenem Ungemach gestärkt hervor. Das einzige was ich weiss, ist dass eine Änderung geben muss – ob diese zum Besseren oder Schlechteren sein wird, werden wir sehen. Ich bleibe sorgfältig optimistisch, es bleiben gut zwei Wochen Unterrichtszeit, ich habe immer noch eine fantastische Lehrerin und Ende April, nach Abschluss meines Kurses und bevor Dominique eintrudelt, werde ich noch 10 Tage lang per Velo in den Süden Taiwans fahren. Das wird der definitive Praxistest, denn abseits der grösseren Städte wird nur relativ wenig Englisch gesprochen (wenn ich Pech habe aber auch kein Mandarin, die Mehrheit der Taiwaner spricht nämlich von Haus aus Taiwanesisch).

Das Leben braucht mehr Slogans

Lassen wir uns also überraschen!

拜拜了, euer 堯逸遠

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[1] Aufmerksamen Lesern wird es nicht entgangen sein: In Spalte „H“ ging es in der vorletzten Woche mit dem Hörverständnis deutlich vorwärts. Der Grund dafür ist wohl der folgende: seit der Erkenntnis, dass Hörverständis meine grösste Schwäche ist, konsumiere ich in fast jeder freien Minute Podcasts und Youtube-Videos mit „Chinese listening practice“. Diese Gewohnheit trägt nun langsam Früchte: Zwar fehlt mir nach wie vor viel Vokabular, aber ich kann zunehmend auch in sehr schnell (lies: normal) gesprochenem Chinesisch Wörter oder Halbsätze erkennen und hin und wieder kapiere ich sogar ganze Sätze oder Satzfolgen, hooray! Ich habe den Eindruck, dass sich dieser Trend auch in der vergangenen Woche – trotz gegenteiliger Erfahrung im Unterricht – weiter fortgesetzt hat.

Youtube ist wirklich ein fantastisches Hilfsmittel, um Sprachen zu lernen. Es gibt Myriaden von sehr guten und unterhaltsamen Lernvideos, von Grammatiklektionen über vorgelesene Texte, die spezifisch das Hörverständnis trainieren, bis zu Soap Operas. Ich gucke mir sogar die nervigen Unterbrecherwerbungen bis zum Ende an, seien sie noch so doof. Hauptsache Chinesisch!

[2] Natürlich war das von Anfang an als Witz gemeint. Ich denke, dass mein Französisch, auch wenn es nülpig ist, sicher einem B1 entspricht (mittleres Niveau). In Alltagssituationen komme ich damit problemlos zurecht. Mein Schwedisch, Spanisch und Italienisch sind wohl ein A1 (Anfänger), ich kann mich sätzchenweise durchschlagen und lese das alles relativ gut. Mein Russisch hingegen ist definitiv ein A0. Von meinem Jahr im Gymi sind nur noch 2 Sätze geblieben, я незнаю und ты говоришь по-немецки, sowie die Fähigkeit, immer noch einigermassen gut kyrillisch lesen zu können..



Halbzeit!

Willkommen zur vierten Ausgabe unseres je länger desto seltener erscheinenden wöchentlichen Newsletters! Anscheinend hat eine Woche zur Zeit etwa 11 Tage… Tut mir leid, dass ich nicht häufiger schreibe, aber der Schlendrian hat mich am Schlafittchen.

Seit ich in unmittelbarer Nähe meines Unterrichtslokals wohne (wir erinnern uns: Gehdistanz = 3 Minuten), hat sich mein Aktionsradius drastisch verkleinert! Meine Metro Benutzungskosten sind praktisch auf Null gesunken und weil ich mich nach der Schule nicht mehr durch zahlreiche unbekannte Stadtviertel und U-Bahnstationen kämpfen muss, hat sich leider auch die Rate spontaner drive-by Entdeckungen und ungeplanter Ausflüge reduziert… Zum Glück gibt es ja noch die Wochenenden, die ich zunehmend für längere Exkursionen nutze.

Letzten Sonntag musste ich meinen Allerwertesten allerdings kaum bewegen, um unterhalten zu werden. In unserem Quartier kam nämlich die Fasnacht zu Besuch! Soweit ich herausfinden konnte, wurde vor 65 Jahren ein Tempel für einen bestimmten Gott in der hiesigen Nachbarschaft eröffnet, und seither kommen jährlich am Jahrestag eine Menge Vereine aus einer Stadt im Süden Taiwans nach Taipei ins Tonghua-Viertel, um dem nun hier ansässigen Gott ihre Aufwartung zu machen. Eine lange Prozession von Tänzern, Drachenschwingern, Marschmusikgruppen, Quietschtrötenbläsern, Trommlern und Kungfu-Kämpfern bewegte sich durchs die Strassen und besuchte dabei nicht nur den besagten Tempel, sondern auch alle benachbarten (man will ja keinen Gott verstimmen) . Sobald ein Tempel erreicht war, hielt jede Gruppe kurz an und zeigte eine kleine Darbietung, wonach es weiterging. Das Ganze wurde begleitet von endlos krachendendem Feuerwerk und superlaut quietschenden Tröten, die jeden Basler Pfyffebläser vor Neid erblassen lassen würden. Freundlicherweise begannen die Festivitäten erst um 9 Uhr morgens und endeten um ca. 4 Uhr Nachmittags, es gab also kein böses Erwachen am Sonntag. Für alle Interessierten gibt’s auch ein Video mit markerschütterndem Soundtrack.

Kleinen Moment bitte, Ihre Messer sind gleich wieder scharf!

Wenn nicht gerade die Fasnacht zu Besuch ist, kann man in Taipei den Sonntag bei schönem Wetter auch bestens auf dem Velo verbringen. Die Stadt wird von zwei Flüssen, Keelung und Xindian, durchflossen, welche sich im Osten der Stadt vereinigen und als Tamsui ins Meer fliessen. Alle Flussufer sind beidseits durchgehend als Park angelegt und für die Öffentlichkeit zugänglich. Hunderte von Kilometern Velo- und Fusswege säumen die Ufer; daneben gibt es auch unzählige Basketball-, Baseball- und Fussballfelder, die vor allem am Wochenende rege genutzt werden. Hohe Mauern zwischen Park und Stadt halten den Lärm fern und lassen einen die Hektik des Alltags für eine Weile vergessen, sei es beim Picknicken, beim Spörteln oder beim Fischen. Letzteres sieht man recht häufig und es werden auch jede Menge Fische gefangen. Wegen der zweifelhaften Qualität des Flusswassers werden diese allerdings nicht verspiesen sondern umgehend wieder zurück ins mehr oder weniger verseuchte Nass geworfen.

Fischer’s Fritz fischt nicht-so-frische Fische

Hat man ein eigenes Velo, kann man damit von zu Hause bis an den Fluss fahren, oder es auch mit in die U-Bahn nehmen, und damit irgendwohin zu fahren. Die MRT (Mass Rapid Transport, so wird hier Metro genannt, die mehrheitlich über Grund fährt) nimmt gerne auch Fahrräder mit. Ich habe das auch schon ausprobiert, allerdings unfreiwillig: das Velo, welches mir von meiner Gastfamilie geliehen wurde, hatte nämlich eine Panne, und ich wollte deshalb die Metro nutzen, um mit dem kaputten Velo im Schlepptau nach Hause zurückzufahren. Nichts leichter als das: in Windeseile hatte ich am bedienten Schalter ein Fahrrad-Ticket gelöst. Nur zwei Mal umsteigen und schon würde ich trotz Panne – flitzflitz – noch rechtzeitig zum Znacht zu Hause sein.

Mit der Metro auf dem schnellsten Weg nach Hause

Leider hatte ich auf meinem Velotransportzettel ein klitzekleines Detail übersehen: NO BICYCLES ON THE BROWN LINE! Als ich, im Bestreben, möglichst schnell nach Hause zu kommen, in Nanjing Fuxing auf die braune Linie umsteigen wollte und deshalb mit meinem Göppel quietschfidel durch die Metrostation marschierte, ertönte plötzlich eine schrille Pfeife und eine Reinigungskraft kam händeringend auf mich zugerannt. „不行! Cannot have Bicycle in Station! 🙅“ Anschliessend wurde ich zur diensthabenden Stationschefin abgeführt, die mir meinen Fauxpas noch einmal erklärte: Keine Velos auf der braunen Linie! Ich müsse auf der grünen Linie bis Zhongshan fahren und dort auf die rote Linie umsteigen. „Alles klar, 我懂, sorry, 對不起, tut mir leid, 不好意思! Zum Glück ist nichts passiert, ich gehe sofort zurück und mache den kleinen Umweg via Songshan, versprochen! Kann ich jetzt gehen?“ Nix. Die Chefin bedeutete mir zu warten, während sie wie wild in der Gegend herumtelefonierte und WalkieTalkie funkte. Eine Viertelstunde später durfte ich, von der Putzfrau eskortiert, zurück aufs 50m entfernte Perron der grünen Linie. Die Frau wartete mit mir zusammen bis der Zug kommt und zeigte mir genau, wo ich einsteigen sollte. Danach fuhr ich bis Songshan und wurde dort von einem Security-Typen in Empfang genommen, der mich bis aufs Perron der roten Linie begleitete, wo mir wiederum genau gezeigt wurde, wo ich einsteigen müsse. Zur Sicherheit wurde dem Zugführer noch gesagt, dass ich mit meinem Velo bis Xinyi Anhe mitfahre. Dort angekommen, wurde ich noch einmal abgeholt und freundlichst bis zum Stationsausgang begleitet, um ja sicher zu stellen, dass sowohl Velo wie auch unfähiger Laowai die MRT-Zone verliessen. Eine gute Atemtechnik und das Ausschalten der primären Hirnfunktionen sorgte dafür, dass ich den den Umstand, wie ein fünfjähriges Kind behandelt zu werden, mit der notwendigen Gelassenheit über mich ergehen lassen konnte. Das Nachtessen war zum Glück noch warm, als ich schlussendlich mit einer Stunde Verspätung zu Hause ankam.

Das äusserst schöne Wetter der vergangenen Wochen bot auch eine gute Gelegenheit für eine Wanderung (Taiwan ist ein Wanderparadies). Von Houtong, einem ehemaligen Kohleminendorf, das heute voller Katzen und damit zu einer Touristenattraktion geworden ist, bin ich bis nach Jiufen gewandert. In Jiufen haben die Japaner zur Kolonialzeit eine Goldmine betrieben, heute ist der Ort vor allem wegen seines historischen Dorfkerns, einigen schönen alten Teehäusern und der tollen Aussicht ein beliebter Ausflugsort. Während sich an den beiden Orten grössere Menschenmassen durch die Strassen wälzten, wanderte ich mehr oder weniger allein über einen etwa 500m hohen Pass und genoss die Ruhe, die blühenden Kirschbäume und den Ausblick vom Pass aufs Meer bis nach Keelung. In Jiufen gab’s dann zum Abschludd noch einen Sonnenuntergang.

Treppe im Nichts: „Stairway to Heaven“ zwischen Houtong und Jiufen
Sonnenuntergang in Jiufen

Ausserdem habe ich auch noch den riesigen Blumen- und Pflanzenmarkt in Daan besucht (Verveine, Thymian und Chili nach Hause geschleppt; Schnäppchen!) und mir die Tanzperformance 1000 Gestures von Boris Charmatz im „Taipei Performing Arts Center“ (TPAC) angeschaut. Das Gebäude im Stadtteil Shilin hat eine ziemlich coole Architektur: die beiden Bühnen sind in auskragenden Beulen untergebracht, das Publikum guckt also quasi von innen nach aussen.

Wenn Architekten zuviel rauchen kommt das TPAC raus

Wie sieht es an der Chinesisch-Front aus? Ich habe die Halbzeit des Unterrichts (d.h. 5 von 10 Wochen) erreicht, und torkle zwischen Frustmomenten und Erfolgserlebnissen hin und her. Zeitweise bezweifle ich, dass ich je in der Lage sein werde, eine längere Unterhaltung auf Chinesisch zu führen, aber dann gibt es plötzlich wieder einen Sprung vorwärts. Beide Lehrerinnen bekräftigen regelmässig, dass ich grosse Fortschritte mache. Wir haben bereits 2/3 des Anfängerstoffes hinter uns und wenn wir die Geschwindigkeit aufrecht erhalten können, werde ich tatsächlich auch noch Stufe B1 (Intermediate) anfangen oder sogar noch abschliessen können.

Halbzeit und ein erstes hellgrünes Feldchen

Am weitesten fortgeschritten sind meine Lesefähigkeiten. Einen meinem Wortschatz angemessenen Text kann ich relativ zügig lesen und verstehen; auch Vorlesen ist okay. Ich angefangen, Bücher auf Chinesisch zu lesen. Es gibt kurze Texte, auch zeitgenössischer Autoren, die – wie Kinderbücher – mit einem limitierten Vokabular (150, 300, 500, 1000 etc. verschiedene Worte) verfasst sind. Das klappt, mit Hilfe eines Wörterbuches für die wenigen unbekannten Wörter, schon ganz gut und gibt Grund auf sich selbst stolz zu sein. Der Frust kommt, wenn man auf die Strasse rausgeht oder irgend ein Buch oder eine Zeitschrift öffnet: da reichen meine mickerigen 500 Zeichen nicht weit, es wären wohl 3000-5000 nötig. Das Fiese ist, dass man – im Gegensatz zu Texten in anderen Sprachen – absolut keine Chance hat, unbekannte Worte irgendwie auszusprechen oder abzuleiten. Jedes unbekannte Zeichen sorgt für eine blanke Stelle im Text, das macht es extrem schwierig, das Gelernte im Alltag einzusetzen (z.B. kann ich auf einer Speisekarte, auch wenn ich die Hälfte des Namens eines Gerichts verstehe, diesen nicht aussprechen, weil ich den Teil, den ich nicht verstehe, nicht einfach ablesen kann).

Auch das Sprechen macht Fortschritte. Ich kann nun doch schon kurze Vorträgli halten, mehrheitlich aus Hauptsätzen bestehend. „Wenn…, dann…“, „Weil…, deshalb…“ sowie Nebensätze mit „aber“ und „und“ sind kein grosses Problem mehr, Vergleiche liegen auch drin. Von Relativsätzen (d.h. Rückbezüge wie „die Blumen, die ich gestern gekauft habe“) kann ich erst träumen, ich glaube das kommt nun endlich nächste Woche dran (im Chinesischen gibt es keine Relativpronomen, was die Bildung von Relativsätzen natürlich etwas verkompliziert).

Ich kann erzählen woher ich komme, was es dort gibt, was ich gerne mache und andere Leute dasselbe fragen. Tiptop! Wenn ich Glück habe und die Töne und Aussprache einigermassen treffe, dann werde ich auch verstanden und erhalte eine Antwort. Das Problem ist nur, dass ich diese dann meistens nicht verstehe, sogar wenn sie in einem mir grundsätzlich geläufigen Vokabular erfolgt. Natürlich ist das ein Klassiker in der Frust-Hitliste eines jeden Sprachenlernenden, weil Muttersprachler viel zu schnell und hier in Taiwan auch oft noch mit einem Akzent sprechen. Für mich ist dieses Problem zur Zeit das grösste Hindernis auf dem Weg zur gemütlichen Plauderei mit der Stationsvorsteherin in der Metro oder auch nur beim Bestellen eines 珍珠奶茶 Zhēnzhūnǎichá (Bubble-Milchtee). Ich will aber nicht zu schwarz malen; ich verstehe sowohl meine Lehrerinnen wie auch die Mädels der Gastfamilie zusehendes besser. Ab und zu gibt es ergreifende Momente, in denen ich plötzlich fast alles verstehe, aber diese sind leider immer noch sehr selten.

Mit Hilfe eines Pinyin-Keyboards kann ich problemlos auch Texte in chinesischer Schrift verfassen. Ich muss inzwischen öfters kleine Aufsätzchen als Hausaufgabe schreiben, und weil dies mittlerweile recht zügig vonstatten geht, habe ich mich dazu entschlossen die Spalte „Schreiben“ in der PLHS-Tabelle entsprechend anzupassen. Schreiben von Hand ist selbstredend immer noch eine 0-1 und wird es auch bleiben.

Das einzige, was ich schreiben kann, ist mein chinesischer Name. Jawoll, so wie fast jeder Taiwanese und jede Taiwanesin sich einen englischen Namen zulegt, habe ich mir einen chinesischen Namen besorgt! Den Nachnamen habe ich selbst gewählt (aus einer grossen Liste mit allen chinesischen Nachnamen), für den Vornamen habe ich meine Gastfamilie um Hilfe gebeten. Einerseits, um ein Desaster mit möglichen Doppeldeutigkeiten zu vermeiden und andererseits, weil auch Faktoren wie „wohlklingend“ eine Rolle spielen und weil ich einen Namen wollte, der zu mir passt. Herausgekommen ist dabei 堯逸遠, Yáo Yì Yuǎn, mit /\_ als Soundwave 😉.

Gestatten: Ihro kaiserliche Hoheit, Yao Yi Yuan

Yáo ist der Nachname (im asiatischen Raum wird dieser immer vorangestellt). Es ist der Name eines frühen chinesischen Kaisers. Ich fand, dass das durchaus mit der Herkunft von „Kaspar“ korreliert und besser passt als „Feng“ (lautmalerisch für „von“) oder „Gong“ (lautmalerisch für „Gun…ten“), was von verschiedener Seite vorgeschlagen wurde. Zudem ergibt es mit den beiden „Y“ des Vornamens ein cooles Y-Tripel!

逸遠 Yì Yuǎn ist der Vorname. Die beiden Zeichen bedeuten „easy, relaxed“, respektive „weit weg, entlegen“. Das erstere ist meinen Gastgebern offenbar als Wesenszug von mir aufgefallen, letzteres passt zu meiner relativen Weitgereistheit und meinem Drang, abgelegenere Weltgegenden zu besuchen.

Das bedeutet, ihr könnt ab sofort 小逸 zu mir sagen! Aber Achtung: Töne beachten!

Bis zum nächsten Mal, 拜拜了.

Über den Dächern Taipeis

Was bisher geschah: Nach einer turbulenten Anreise bezieht K sein Quartier bei einer „Gastfamilie“. Bedingt durch die desolaten Zustände in der Bude, zieht er überstürzt wieder aus. Ohne eine feste Adresse zu haben, nimmt er seine ersten Chinesischstunden und juckelt kreuz und quer durch die Hostellandschaft Taipeis, wie ein Blatt im Wind. Derweilen sucht die Schule fieberhaft nach einer alternativen Unterkunft. Die Ereignisse überschlagen sich, als K einen überraschenden Anruf erhält…

Ha, erwischt! Der letzte Satz ist nur ein dramaturgischer Kniff. Ich habe noch überhaupt keinen Anruf gekriegt, seit ich in Taipei angekommen bin!

Was ich stattdessen erhalten habe, ist eine Textnachricht auf Line, das ist die Messenger-App, die hier jeder hat. Riona, welche die Gastfamilien und sozialen Aktivitäten der Schule managt, schreibt mir, dass sie eine neue Unterkunft für mich gefunden habe. Die Gastgeber hatten sich via Facebook auf ein Inserat der Schule gemeldet. Das Zimmer sei bereit, einzig das Bett und ein paar Utensilien fehlten noch. Und so konnte ich ein paar Tage später tatsächlich bei den Liao’s einziehen.

Die neue Bleibe ist in jeder Hinsicht ein Lottosechser, ich kann es gar nicht anders sagen. Zusammen mit Yascha, einem Politikwissenschaftler und Journalist, der ebenfalls an der LTL Chinesisch lernt, teile ich mir eine eigene Wohnung im obersten Stock eines siebenstöckigen Hauses; mit eigenem Bad und einer kleinen Terrasse, welche eine tolle Aussicht über die Dächer Taipeis bietet. Unsere Gastgeber, Liz und Douglas, sowie ihre zwei Töchter (9, 14) wohnen im vierten Stock. Jeden Abend gibt es ein gemeinsames opulentes Nachtessen, inklusive ausgedehnter Plauderei. Zugegebenermassen nicht 100% auf Chinesisch, es gibt einfach zu viel zu erzählen und mein Krüppelchinesisch reicht (noch) nirgends hin. Ausserdem, so meine Vermutung, nutzen die Liaos die Gelegenheit nur zu gerne, um selber ein bisschen Englisch zu üben. Sie sind sehr interessiert und es herrscht eine relaxte Atmosphäre, in der ich jederzeit Versuche in Chinesisch machen oder Fragen zu allem stellen kann, sei es Sprache, Kultur oder auch Politik.

Douglas ist ein äusserst passionierter Koch und zaubert jeden Abend ein 1A-Menu auf den Tisch, auch angetrieben von seiner Mutter, die ihn regelmässig telefonisch ermahnt, den beiden 老外 (Laowai; Ausländer) ja genügend Essen zu geben. Am Wochenende gibt es zudem noch zweimal gemeinsames Zmorge. Liz gibt mir jede Menge Tipps bezüglich Essen und Getränken, die es auszuprobieren gilt, und machte mich auch schon mit taiwanesischem Heavy Metal bekannt. [5]

Room with a View

Doch eine tolle Wohnung, freundliche Gastgeber, feines Essen und eine grandiose Aussicht sind noch nicht genug. Ich habe nicht nur den Lottosechser, sondern auch noch den Joker gewonnen. Ich wohne nämlich nur etwa 500m von der Schule entfernt, das heisst ich kann jeden Morgen 10 Minuten vor Unterrichtsbeginn aus dem Haus und mir bleibt, im Gegensatz zu fast allen anderen Schülern und Lehrern, die tägliche 40-minütige Pendlerei mit der MRT (U-Bahn) erspart. Wow, womit habe ich das verdient?

Znacht bei den Liaos: Wie im Restaurant, nur ohne Kellner

Auch die Nachbarschaft ist cool. Wie ich schon im letzten Bericht geschrieben habe, befindet sich die Schule (und somit auch mein neues Zuhause) in unmittelbarer Nähe des Taipei 101. Leider zeigt meine Terrasse vom 101 weg, aber ich sehe dieses Symbol Taipeis jeden Tag zwischen den Häusern aufragen; sei es, wenn ich zur Schule spaziere, über den Markt schlendere oder einen Kaffee trinken gehe. Das ist wirklich grossartig. Taipei hat sonst keine Wolkenkratzer, die zweithöchsten Gebäude nach dem 101 sind vielleicht 40 Stockwerke hoch, und auch davon gibt es relativ wenige (Quizfrage: Wie viele Stockwerke hat der 101?)

In unmittelbarer Nähe meiner Wohnung befindet sich tagsüber ein grösserer Frischwarenmarkt, auf dem alles, was essbar ist, gekauft werden kann. Hierhin kommen die Bauern vom Land, um ihre Ware loszuwerden. Am Abend verwandelt sich eine der Strassen in einen Nachtmarkt, auf dem an wohl über 80 Ständen jede Menge kleine Häppchen angeboten werden. Es hat relativ viele Restaurants und auch einige Cafés in der Umgebung, Supermärkte und Convenience Stores (z.B. 7-11 oder Family Mart) sowieso.

Abendspaziergang im Quartier

Der Einzug bei meiner Gastfamilie letzten Sonntag ist das erwähnenswerteste aus meinem sozialen Leben zur Zeit. Daneben gibt es nicht viel zu erzählen; ich habe noch ein paar Live Jazz Clubs [1] ausfindig gemacht, war in den heissen Quellen von Beitou baden [2] und wurde von meinem ersten Erdbeben durchgeschüttelt [3]. Da ich Abends meist noch Hausaufgaben erledige oder aus eigenem Antrieb noch etwas Chinesisch lerne (lesen, Podcasts, Youtube etc.), mache ich eigentlich nur an den Wochenenden ausgedehntere Ausflüge in die Stadt.

Letztes Wochenende war ein langes Feiertagswochenende. Ganz Taiwan gedenkt am 28. Februar (228) den Opfern der Aufstände von 1947 [4]. Viele Geschäfte waren geschlossen, aber wir hatten normal Unterricht, weil niemand Lust hatte, die Stunden auf Wochenenden zu verschieben (Ausfall war kein Thema, da der Unterricht wochenweise verkauft wird…)

Und damit hätten wir den Übergang zum Thema „Chinesisch“ gefunden! Vorneweg gleich mal der aktuelle PLHS Score.

Ein erstes gelbes Feldchen!

Nach einem einigermassen rasanten Start habe ich ein erstes Miniplateau erreicht. Bei der Grammatik sind wir inzwischen bei Ortsbeschreibungen angelangt. Letzte Woche habe ich geschlagene zwei Tage lang repetiert, dass die Katze auf dem Stuhl, dass der Hund darunter ist; dass sich der Kühlschrank neben dem Fernseher befindet, dass es im Laden Stäbchen, Becher und Ping Pong Bälle zu kaufen gibt, dass der Mann und das Kind vor dem Haus stehen und sich dahinter das Auto befindet, während sich – nützlich im Falle eines akuten Hungeranfalls – das Restaurant hinter dem Café, unweit der U-Bahnstation befindet… suuuuper spannend. Das Vokabular ist selbstredend immer noch äusserst eingeschränkt und die grammatischen Strukturen, die wir behandeln, sind ebenfalls noch ziemlich einfach. Ich drücke mich also mehrheitlich mit Hauptsätzen aus und die Buntheit meiner Ausdrucksweise liegt wohl irgendwo zwischen grau und beige. Das ist bisweilen etwas frustrierend, seufz.

Dafür geht es beim Lesen einigermassen voran. Ich kann einen meinem Wortschatz angemessenen Text ohne Transkription laut vorlesen, nach einigen Wiederholungen sogar einigermassen fliessend. Stilles lesen geht noch deutlich besser, weil ich dabei Töne und Aussprache ignorieren kann.

Beim Sprechen kämpfe ich natürlich immer noch primär mit den Tönen. Aber wenn ich mich konzentriert äussere, dann treffe ich diese doch meistens schon einigermassen. Meine Sprechexperimente mit der Gastfamilie sind jedenfalls zusehends von Erfolg gekrönt. Sobald die Konzentration nachlässt, z.B. weil ich müde bin oder wenn ich einfach drauflosquatsche, dann trampelt nach wie vor der Elefant durchs fein sortierte Tonhäuschen.

Darüberhinaus haben wir nun auch angefangen, meine Aussprache unabhängig von den Tönen näher unter die Lupe zu nehmen. Ich habe insbesondere Mühe, die stimmhaften Tsch- und Ts-Laute von den stimmlosen Dsch- und Ds-Lauten zu trennen. Bei mir ist immer immer zu viel Luft drin… Die eine meiner Lehrerinnen, Jessica, ist ein professioneller Sprech-Coach und sie weiss genau, auf was es ankommt und verfügt auch über entsprechendes Trainingsmaterial. Ich spreche ihr also endlose Listen mit Zh-, Tsch-, Ds-, Ts-, Sh- und Sch-Worten nach. Zehn Minuten davon ermüden Kiefer und Zunge deutlich mehr als ein zweistündiger Zahnarztbesuch! Das Gute ist, dass ich genau begriffen habe, worauf es ankommt; ich muss nur Zunge und Mund darauf trainieren, die richtigen Positionen auf Anhieb zu finden. Der Wechsel zwischen den Positionen ist dann noch die Kür. Jessica ist aber ein alter Hase und ich kann mich glücklich schätzen, dass sie mir zugeteilt wurde. Sie macht ihre Sache hervorragend und ich kann enorm von ihr profitieren. Von Avril, meiner zweiten Lehrerin, erzähle ich dann ein anderes mal…

Aus dem Leben eines Chinesischschülers

Zusammenfassend würde ich also sagen, dass mich zur Zeit hauptsächlich der limitierte Wortschatz daran hindert, Gespräche zu führen, die aus mehr als ein paar Hauptsätzen bestehen. Ich habe mich mittlerweile halbwegs an die chinesischen Zeichen gewöhnt und kann einfache Texte lesen. Töne treffe und höre ich zunehmend besser.

謝謝你閱讀。再見, 拜拜了。

[1] z.B. Sappho Live, ein kleiner gemütlicher Kellerclub mit live Jazz an jedem Wochentag, ausser Sonntag.

[2] Beitou ist ein Vorstadtquartier von Taipei, mit vielen heissen Quellen. Während der Kolonialzeit in der ersten Hälfte des letzen Jahrhunderts haben die Japaner auch ihre Badekultur nach Taiwan gebracht und in Beitou die ersten Badehäuser eröffnet. Bis heute gibt es dort viele öffentliche und private Bäder und Spa-Hotels. Ich habe meine Knochen im Long Nice Hotsprings ausgekocht (Achtung: „Long“ ist der Familienname der Betreiber). Die beiden Wasserbecken (Frauen und Männer getrennt, nackig) waren 43°C, resp. 46°C heiss.

[3] Nur ein kleines, in Taipei City hat man es kaum gespürt, es hat nur kurz geruckelt – links, rechts, links und fertig. Erdbeben sind in Taiwan an der Tagesordnung, die Insel ist eine der tektonisch aktivsten Zonen der Erde, wie folgende, von einem Experten zur Verfügung gestellte Karte zeigt:

Je brauner, desto häufiger und stärker rüttelt es

Das Central Weather Bureau von Taiwan listet alle kurzlich erfolgten Erdbeben auf seiner Website auf.

[4] Nachdem die Kuomintang (KMT) die Insel nach dem zweiten Weltkrieg von den Japanern übernommen hatten, wurde eine korrupte Regierung installiert. Als Folge davon gab es viel amtliche Willkür und Repression, was schlussendlich zu Aufständen der Bevölkerung führte, die äusserst blutig vom Militär niedergeschlagen wurden (man spricht von bis zu 28’000 Toten). Es folgte die Ausrufung von Kriegsrecht, welches bis 1987 bestehen blieb und die Phase des 40-jährigen „weissen Terrors“, der Diktatur Taiwans, einläutete.

[5] Nämlich mit Chthonic (siehe Youtube, höre Spotify). Die Band gibt es seit fast 30 Jahren und ist somit ein Urgestein asiatischen‘ Heavy Metals. Sie ist nicht zuletzt deshalb bekannt, weil ihr Gründer und Leadsinger Freddy Lim ein bekannter Politiker und Aktivist ist, der sich u.a. für die Unabhängigkeit Taiwans einsetzt. Darüber gibt es sogar einen Film, Metal Politics Taiwan, der auch im deutschsprachigen Raum diskutiert wurde.

Gaschdu Nachtmarkt oder ohni Znacht im Bett!

Nach einer einigermassen turbulenten Reise bin ich am 10. Februar ziemlich groggy in Taipei angekommen. Die Swiss hatte sich entschlossen, lieber das Flugzeug zu wechseln und zweieinhalb Stunden Verspätung in Kauf zu nehmen, anstatt pünktlich mit kaputtem Entertainmentsystem abzufliegen. Offenbar war die Gefahr einer Meuterei auf Grund fehlender Sedierung durch Videoberieselung als zu gross eingeschätzt worden. Halb so schlimm, wenn dafür ein paar Nasen ihren Anschluss in Bangkok verpassen (z.B. die meinige).

Zürich-Bankok via Luhansk (die reale Position war zum Glück etwas südlicher)

Ich kam also deutlich später als erwartet und ohne Gepäck in Taipei an, und schaffte es gerade noch in letzter Sekunde in meiner Hostel einzuchecken, bevor die Rezeption zumachte. Die Organisation von überlebenswichtigen Dingen wie Metrokarte (kann auch für Velo [1], Bus, und bargeldlose Bezahlung verwendet werden) oder Telefonabo (Internet! [2]) musste ich somit auf den nächsten Tag verschieben. Auch mit Znacht war nix mehr, hier schliessen die meisten Restaurants um 9 Uhr Abends oder nehmen zumindest ab diesem Zeitpunkt keine Bestellungen mehr entgegen. Wer später noch etwas essen will, muss einen Nachtmarkt besuchen oder sich etwas in einem 24-Stunden Shop besorgen. Das fühlt sich komisch an, weil viele reguläre Läden um diese Zeit ebenfalls noch offen sind; man kann um 21 Uhr also noch Videospiele, Handtaschen und einen Kratzbaum für die Katze kaufen, aber keine Wantan-Suppe und kein Sushi mehr.

Weil ich oft erst spät am Abend ans Essen denke, war ich in den letzten Tagen gezwungenermassen relativ häufig auf Nachtmärkten unterwegs. Glücklicherweise gibt es davon mehr als genug, fast jedes Quartier hat einen und mit der Metro oder mit dem UBike [1] ist man blitzschnell da. Dazu (d.h. zur taiwanischen Esserei im allgemeinen und Nachtmärkten im speziellen) gibt es später 100%-ig noch einen Extra-Bericht.

Yummy Food 很好吃 auf dem Nachtmarkt

Doch Moment mal… Warum überhaupt Essen besorgen? War nicht mal die Rede von einer Gastfamilie, die den Schöberli jeden Abend liebevoll mit taiwanesischer Hausmannskost bekocht und dabei munter mit ihm auf Chinesisch über die fachgerechte Zubereitung von Schweinerippchen oder die letzten Resultate der Baseball-Liga diskutiert?

Nun ja, theoretisch schon. In der Praxis hat’s leider nicht wirklich geklappt, so dass ich mich bereits nach sehr kurzer Zeit wieder von meinem designierten Gastgeber getrennt habe. Ich gehe hier nicht näher auf Details ein, aber soviel sei gesagt: Versprechen und Realität klafften deutlich weiter auseinander als bei einer McDonalds Hamburgerwerbung.

Das Mini-Fiasko zu Beginn meines Aufenthalts führte dazu, dass ich nun bis auf weiteres das Hostelangebot von Taipei teste, was aber auch seinen Reiz hat. Damit ich etwas Abwechslung habe, wechsle ich zur Zeit jede Woche mein Zuhause. So komme ich ein wenig in der Stadt herum, und weil ich dadurch alle 7 Tage meinen Rucksack in die Hand nehme, vergesse ich auch nicht, mal die Unterhosen zu wechseln. Die Schule sucht derweilen eine Alternative, und es sieht tatsächlich so aus, als ob sich bald etwas ergeben könnte. Stand-by for more Drama!

Da ich im sich im Publikum bereits etwas Unruhe breit macht, kommen wir nun zum Hauptthema des heutigen Abends: DAS CHINESISCH UNTERRICHT. Jawoll, man kann das so eingeben in Google Translate, und es kommt exakt das gleiche raus wie bei der Eingabe von „eine Chinesischstunde“, nämlich 中文課 (zhōngwén kè). Man sieht also: super easy das ganze, Artikel gibt es nicht, Deklination auch nicht und am Ende kommt immer dasselbe raus!

Ich habe total 300 Stunden Einzelunterricht gebucht, davon habe ich nun bereits einen guten Zehntel gehabt. Das bedeutet jeden Tag 6 Stunden Unterricht, jeweils 3 Stunden morgens und 3 Stunden Nachmittags. Weil die Schule ziemlich stark ausgebucht ist, hat es am Hauptsitz im Moment keine freien Unterrichtszimmer. Ich habe deshalb meine erste Woche in einem Klassenzimmer einer „Paukschule“ (lies: Nachhilfe-Schindereilokal) verbracht. Leider habe ich davon kein Foto, aber man stelle sich ein ein fensterloses 20m2 Zimmer mit ca. 30 Sitzplätzen, einer grossen Wandtafel und Tischbänkchen wie zu Albert Anker’s Zeiten vor… Aber ich bin ja nicht hier, um aus dem Fenster zu gucken, 沒問題, Chinesisch pauken halt! Tatsächlich war der Ort der jüngeren meiner zwei Lehrerinnen sichtlich unangenehmer als mir selbst, ich glaube sie hat ziemlich traumatische Erinnerungen an Aufenthalte in derartigen Institutionen. Anfang diese Woche sind wir nun umgezogen in einen Co-Workingspace, da hat es nun tatsächlich Fenster, eine Kaffeemaschine und frische Luft. Dafür ist der Blick die Strasse runter nicht mehr ganz so toll wie vorher, wir sind nämlich in unmittelbarer Umgebung des Taipei 101 Towers und am alten Ort zeigte die Strassenflucht direkt auf den 101, was ich ziemlich cool fand:

Blick ostwärts von der guten alten Paukschule

Vor der Abreise hatte ich mir durch Selbsstudium ca. 150 Zeichen/Wörter beigebracht, sowie ein minimales Grammatikwissen. Ich hatte Null Hörverständnis (ausser vielleicht 你好 Ni haoguten Tag, und 謝謝 Xiexie – Danke) und gesprochen hatte ich noch überhaupt nie. Ich begann den Unterricht also als absoluter Anfänger mit einem winzigen Bisschen Vorwissen.

In den 7 Unterrichtstagen, die seither vergangen sind, habe ich meiner Meinung nach bereits deutliche Fortschritte gemacht. Natürlich ist mein Vokabular immer noch super dürftig, aber die Töne kommen langsam richtig raus – immer noch weit weg von gut, aber ich glaube ich habe begriffen, worauf es ankommt. Ich habe seit Beginn des Unterrichts jeden Tag noch zusätzlich 3-4 Stunden chinesische Podcasts und Videos geguckt, und so langsam komme ich der Sprachmelodie und vor allem dem Sprechrhythmus auf die Spur. Heute habe ich zum ersten Mal einen kürzeren Text vorgelesen und hatte die Betonungen zu 80% am richtigen Ort, das war echt ein Erfolgserlebnis.

Das Lernen der Sprache ist natürlich vor allem deshalb recht anspruchsvoll, weil man alles gleichzeitig tun muss: für jedes Wort muss man sich die Aussprache, den Ton, das Zeichen, die Transkription und dann natürlich auch noch die Bedeutung merken. Im Vergleich zu einer Sprache mit einem lateinischen Alphabet (oder auch einem anderen Alphabet wie z.B. kyrillisch, wo jeder Buchstabe einen Laut codiert [4]) helfen einem die chinesischen Zeichen beim Ablesen überhaupt nicht bei der Aussprache. Jedes Wort hat ein eigenes Zeichen [2], und diese sind teilweise ziemlich kompliziert und einander recht ähnlich. Kommt dazu, dass ich mir bei meinem Vorstudium „dummerweise“ die vereinfachten Zeichen, die in China gebräuchlich sind, beigebracht habe. Taiwan (und damit auch meine Schulunterlagen) benutzt aber die traditionellen Langzeichen. Somit konnte ich nur bedingt von meinem bereits Gelernten profitieren… Beispiel: „Maschine“ ist 机 vereinfacht, aber 機 traditionell… oder „Netz“ 网 / 網. Die Zahlen sind zum Glück gleich!

Eine weitere Herausforderung ist der Umstand, dass die Wörter in einem chinesischen Satz nicht voneinander durch Leerzeichen getrennt werden. Beispiel: 今天晚上我騎到腳踏車很快‘ – Heute Abend bin ich sehr schnell Fahrrad gefahren. Viel Spass beim Erkennen der Wortgrenzen! Netterweise gibt es kaum Wörter, die länger als 3 Zeichen sind. Natürlich kann man beim Lesen aber nicht einfach jedes Zeichen seiner Tonalität entsprechend aussprechen, der Rhythmus muss die Wortgrenzen und auch das „anbinden“ von zusammengehörigen Silben berücksichtigen und je nachdem ändert sich auch der Ton. Die Tonwechsel sind SOWIESO UND ÜBERHAUPT das Schwierigste am Ganzen – jedenfalls finde ich das!

Wir kennen ja Tonwechsel in der gesprochenen Sprache ebenfalls, wenn wir z.B. eine Frage intonieren oder etwas mit ironischem, erstauntem oder zornigen Unterton sagen. Nur machen wir das in der Regel nur am Ende des Satzes oder für ein einzelnes Wort, im Chinesischen muss man das grundsätzlich immer und auch innerhalb eines einzelnen Worts und an den Silbengrenzen tun. Auch endet ein Satz natürlich nicht mit fallendem Ton. Föcking complicated, I tell you. Von den verschiedenen Zischlauten wollen wir noch gar nicht sprechen (Ch, Zh, Sch, Tsch, Dsch, Ts, Ji, Xi, usw.). Der obige Satz (今天晚上我騎到腳踏車很快) liest sich z.B. mit der „Melodie“ ‾ ‾ _ \ _ \ \ _\‾_\ (hoch, hoch, tief, fallend, tief, …., hoch, tief, fallend).

Soweit also zu den bisherigen Freuden des Chinesischlernens. Es ist ein bisschen anstrengend, aber es macht auch Spass, die eigenen hart erarbeiteten Fortschritte zu beobachten. Aktive Kommunikation, und sei es auch nur ein Minidialog, ist immer noch eine ungemeisterte Herausforderung. Ein Satz mag perfekt mit allen Tönen in der geistigen Vorstellung bereit liegen, der Mund macht dann meistens nicht mit. Und die Leute verstehen einen WIRKLICH überhaupt nicht, wenn auch nur ein Tönchen daneben ist (das gilt auch für meine Lehrerinnen).

Zusammenfassend am Schluss also noch Stand des PLHS Codes [5] am Ende der letzten Woche (nach 30 Stunden Unterricht):

Sprechen, Lesen, Verstehen, Schreiben… je grüner desto besser!

Wenn ich die bisherigen Fortschritte anschaue, dann erscheint mir mein Ziel, Ende April einigermassen passables Chinesisch zu sprechen, durchaus noch realistisch. Insbesondere, falls ich bald eine Gastfamilie erhalten sollte.

Danke für’s mitlesen! Und bis bald, 拜拜了.

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[1] UBike, das: Geniales Veloleihsystem in Taipei. Überall verfügbar, spottbillig, gut im Schuss. Dazu gibt es an anderer Stelle sicher einmal noch mehr.

[2] Internet, das mobile: Äusserst wichtiges Hilfsmittel für jeden, der des Lesens von chinesischen Schriftzeichen unkundig ist. Google Lens verwandelt im Handumdrehen einen Haufen komischen Gekrakels mittels moderner Magie in einigermassen leicht verständliche Prosa.

Beispiel: Aus dem folgenden Chrüsimüsi…

Was das wohl sein mag?

… wird mir-nichts-dir-nichts das hier:

Wow! Ein Menu mit feinen Schmankerln!

[3] Das stimmt so nicht ganz, viele Zeichen codieren mehrere Wörter, aber da der chinesische Zeichensatz über mehrere Zehntausend verschiedene Zeichen (die teilweise auch das gleiche Wort bedeuten) verfügt, denke ich, dass die Aussage im Kontrast zu einem Alphabet mit 26 Buchstaben (oder 62 Zeichen, wenn man Gross/Kleinschreibung und Zahlen mitrechnet) durchaus passt.

[4] Jaja, Diphtonge usw, ich weiss.

[5] Siehe erster Blogeintrag.

Bài Bài Le!

Fast genau 12 Jahre nach dem letzten längeren Goodbye (2011), verreise ich erneut für ein Weilchen auf die andere Seite der Welt.

Diesmal verschlägt’s mich für 3 Monate nach Taiwan, in der Absicht, mir dort Chinesisch beibringen zu lassen. Zu diesem Zweck habe ich einen 10-wöchigen Intensiv-Chinesisch Kurs an der LTL Taipei Schule gebucht und werde während dieser Zeit bei einer Gastfamilie wohnen (Motto: Chinesisch 24/7)

Auf diesem Kanal plane ich in mehr oder weniger regelmässigen Abständen Updates zu meinem Fortschritt zu publizieren; garniert mit Fotos und Erlebnissen aus Taipei/Taiwan.

Das Ziel (目标)

Warum das Ganze? Just for fun! Sprachen haben mich schon immer interessiert, und ich wollte schon immer eine nicht-europäische/asiatische Sprache lernen. Ich habe zwar null Verwendung für Chinesisch in meinem Leben, aber die Herausforderung, eine tonale Sprache mitsamt einer logographischen Schrift zu erlernen, ist einfach zu verlockend, um sie nicht anzunehmen. Ich bin super gespannt, ob das geht, ob ich das kann, und wie weit ich in knapp 3 Monaten als blutiger Anfänger komme. Und vielleicht ergibt sich ja später irgend einmal eine Möglichkeit das Gelernte anzuwenden.

Wenn ich es schaffe, ein Sprachniveau B1 (untere Mittelstufe) gemäss CEFR zu erreichen, dann wäre das sehr cool. Wenn ich im Mai so frei von der Leber weg Chinesisch plappern kann wie John Cena, dann bin ich 很高兴 (hěn gāoxìng = super happy). Oder alternativ definiert: Wenn ich im Sommer gleich gut Chinesisch wie Französisch kann, dann bin ich auch zufrieden!

Die Schreiberei von Hand lasse ich übrigens weg, das ist zu kompliziert und hat eine schlechte Aufwand/Ertrags-Prognose für eine so kurze Zeitspanne. Schreiben mit Hilfe eines Computers ist immer möglich, so lange ich weiss, wie man die Wörter ausspricht, resp. wie die entsprechenden Zeichen aussehen.

Ungeachtet des gesetzten Ziels habe ich keinerlei Absicht, am Ende irgend eine Prüfung abzulegen oder ein Zertifikat mit nach Hause zu bringen. Ich werde also schlussendlich rein subjektiv beurteilen, wie nahe ich meinem Ziel gekommen bin.

Der PHLS Code

Den Stand der Dinge werde ich mittels eines (komplett selbsterfundenen) PLHS Codes dokumentieren. Dieser setzt sich aus subjektiv erfassten Werten für Sprechen (P), Lesen (L), Hörverständnis (H) und Schreiben (S) zusammen. Um meinen Fortschritt zu dokumentieren, werde ich in regelmässigen Abständen einen neuen PHLS-Wert erfassen.

Den PLHS-Wert für die angestrebte B1 Stufe ohne Schreibkompetenz definiere ich hiermit total willkürlich als 10:10:10:1.

Zur Zeit (3. Februar, vor der Abreise) schätze ich meinen PLHS-Wert auf 0:2:1:0. In Worten: Sprechen: 0 (Nada), Lesen: 2 (Bizzeli), Hörverständnis: 1 (Desolat), Schreiben: 0 (Oi wey).

Stand am 3.2.2023

Mal sehen, ob 10 Wochen/300h ausreichen, um eine PLHS-Differenz von 10:8:9:1 zu überbrücken…

Die Chinesisch-Kompetenz wird übrigens offiziell mit sog. HSK-Stufen definiert und geprüft. Der HSK Massstab wurde just im letzten Jahr fundamental revidiert. Gemäss der neuen HSK 3.0 Spezifikation entspricht mein angestrebtes B1 Level in etwa HSK 3-4, was ungefähr der Beherrschung von 2500-3000 Wörtern entspricht.

Moll, moll. Aber was hat das alles mit 886 zu tun?

Nix! Aber ich habe mich immerhin schon soweit mit Chinesisch auseinander gesetzt, dass ich über chinesischen Nummern-Slang gestolpert bin. Und dort steht 886 für bā bā liù (Acht-Acht-Sechs), was schnell ausgesprochen wie „Baibai le“ klingt, was wiederum soviel heisst wie „Bye bye then!“.

Hmm, was wohl „我先下了“ gefolgt von „886“ heisst?