Nach einer einigermassen turbulenten Reise bin ich am 10. Februar ziemlich groggy in Taipei angekommen. Die Swiss hatte sich entschlossen, lieber das Flugzeug zu wechseln und zweieinhalb Stunden Verspätung in Kauf zu nehmen, anstatt pünktlich mit kaputtem Entertainmentsystem abzufliegen. Offenbar war die Gefahr einer Meuterei auf Grund fehlender Sedierung durch Videoberieselung als zu gross eingeschätzt worden. Halb so schlimm, wenn dafür ein paar Nasen ihren Anschluss in Bangkok verpassen (z.B. die meinige).

Ich kam also deutlich später als erwartet und ohne Gepäck in Taipei an, und schaffte es gerade noch in letzter Sekunde in meiner Hostel einzuchecken, bevor die Rezeption zumachte. Die Organisation von überlebenswichtigen Dingen wie Metrokarte (kann auch für Velo [1], Bus, und bargeldlose Bezahlung verwendet werden) oder Telefonabo (Internet! [2]) musste ich somit auf den nächsten Tag verschieben. Auch mit Znacht war nix mehr, hier schliessen die meisten Restaurants um 9 Uhr Abends oder nehmen zumindest ab diesem Zeitpunkt keine Bestellungen mehr entgegen. Wer später noch etwas essen will, muss einen Nachtmarkt besuchen oder sich etwas in einem 24-Stunden Shop besorgen. Das fühlt sich komisch an, weil viele reguläre Läden um diese Zeit ebenfalls noch offen sind; man kann um 21 Uhr also noch Videospiele, Handtaschen und einen Kratzbaum für die Katze kaufen, aber keine Wantan-Suppe und kein Sushi mehr.
Weil ich oft erst spät am Abend ans Essen denke, war ich in den letzten Tagen gezwungenermassen relativ häufig auf Nachtmärkten unterwegs. Glücklicherweise gibt es davon mehr als genug, fast jedes Quartier hat einen und mit der Metro oder mit dem UBike [1] ist man blitzschnell da. Dazu (d.h. zur taiwanischen Esserei im allgemeinen und Nachtmärkten im speziellen) gibt es später 100%-ig noch einen Extra-Bericht.

Doch Moment mal… Warum überhaupt Essen besorgen? War nicht mal die Rede von einer Gastfamilie, die den Schöberli jeden Abend liebevoll mit taiwanesischer Hausmannskost bekocht und dabei munter mit ihm auf Chinesisch über die fachgerechte Zubereitung von Schweinerippchen oder die letzten Resultate der Baseball-Liga diskutiert?
Nun ja, theoretisch schon. In der Praxis hat’s leider nicht wirklich geklappt, so dass ich mich bereits nach sehr kurzer Zeit wieder von meinem designierten Gastgeber getrennt habe. Ich gehe hier nicht näher auf Details ein, aber soviel sei gesagt: Versprechen und Realität klafften deutlich weiter auseinander als bei einer McDonalds Hamburgerwerbung.
Das Mini-Fiasko zu Beginn meines Aufenthalts führte dazu, dass ich nun bis auf weiteres das Hostelangebot von Taipei teste, was aber auch seinen Reiz hat. Damit ich etwas Abwechslung habe, wechsle ich zur Zeit jede Woche mein Zuhause. So komme ich ein wenig in der Stadt herum, und weil ich dadurch alle 7 Tage meinen Rucksack in die Hand nehme, vergesse ich auch nicht, mal die Unterhosen zu wechseln. Die Schule sucht derweilen eine Alternative, und es sieht tatsächlich so aus, als ob sich bald etwas ergeben könnte. Stand-by for more Drama!
Da ich im sich im Publikum bereits etwas Unruhe breit macht, kommen wir nun zum Hauptthema des heutigen Abends: DAS CHINESISCH UNTERRICHT. Jawoll, man kann das so eingeben in Google Translate, und es kommt exakt das gleiche raus wie bei der Eingabe von „eine Chinesischstunde“, nämlich 中文課 (zhōngwén kè). Man sieht also: super easy das ganze, Artikel gibt es nicht, Deklination auch nicht und am Ende kommt immer dasselbe raus!
Ich habe total 300 Stunden Einzelunterricht gebucht, davon habe ich nun bereits einen guten Zehntel gehabt. Das bedeutet jeden Tag 6 Stunden Unterricht, jeweils 3 Stunden morgens und 3 Stunden Nachmittags. Weil die Schule ziemlich stark ausgebucht ist, hat es am Hauptsitz im Moment keine freien Unterrichtszimmer. Ich habe deshalb meine erste Woche in einem Klassenzimmer einer „Paukschule“ (lies: Nachhilfe-Schindereilokal) verbracht. Leider habe ich davon kein Foto, aber man stelle sich ein ein fensterloses 20m2 Zimmer mit ca. 30 Sitzplätzen, einer grossen Wandtafel und Tischbänkchen wie zu Albert Anker’s Zeiten vor… Aber ich bin ja nicht hier, um aus dem Fenster zu gucken, 沒問題, Chinesisch pauken halt! Tatsächlich war der Ort der jüngeren meiner zwei Lehrerinnen sichtlich unangenehmer als mir selbst, ich glaube sie hat ziemlich traumatische Erinnerungen an Aufenthalte in derartigen Institutionen. Anfang diese Woche sind wir nun umgezogen in einen Co-Workingspace, da hat es nun tatsächlich Fenster, eine Kaffeemaschine und frische Luft. Dafür ist der Blick die Strasse runter nicht mehr ganz so toll wie vorher, wir sind nämlich in unmittelbarer Umgebung des Taipei 101 Towers und am alten Ort zeigte die Strassenflucht direkt auf den 101, was ich ziemlich cool fand:

Vor der Abreise hatte ich mir durch Selbsstudium ca. 150 Zeichen/Wörter beigebracht, sowie ein minimales Grammatikwissen. Ich hatte Null Hörverständnis (ausser vielleicht 你好 Ni hao – guten Tag, und 謝謝 Xiexie – Danke) und gesprochen hatte ich noch überhaupt nie. Ich begann den Unterricht also als absoluter Anfänger mit einem winzigen Bisschen Vorwissen.
In den 7 Unterrichtstagen, die seither vergangen sind, habe ich meiner Meinung nach bereits deutliche Fortschritte gemacht. Natürlich ist mein Vokabular immer noch super dürftig, aber die Töne kommen langsam richtig raus – immer noch weit weg von gut, aber ich glaube ich habe begriffen, worauf es ankommt. Ich habe seit Beginn des Unterrichts jeden Tag noch zusätzlich 3-4 Stunden chinesische Podcasts und Videos geguckt, und so langsam komme ich der Sprachmelodie und vor allem dem Sprechrhythmus auf die Spur. Heute habe ich zum ersten Mal einen kürzeren Text vorgelesen und hatte die Betonungen zu 80% am richtigen Ort, das war echt ein Erfolgserlebnis.
Das Lernen der Sprache ist natürlich vor allem deshalb recht anspruchsvoll, weil man alles gleichzeitig tun muss: für jedes Wort muss man sich die Aussprache, den Ton, das Zeichen, die Transkription und dann natürlich auch noch die Bedeutung merken. Im Vergleich zu einer Sprache mit einem lateinischen Alphabet (oder auch einem anderen Alphabet wie z.B. kyrillisch, wo jeder Buchstabe einen Laut codiert [4]) helfen einem die chinesischen Zeichen beim Ablesen überhaupt nicht bei der Aussprache. Jedes Wort hat ein eigenes Zeichen [2], und diese sind teilweise ziemlich kompliziert und einander recht ähnlich. Kommt dazu, dass ich mir bei meinem Vorstudium „dummerweise“ die vereinfachten Zeichen, die in China gebräuchlich sind, beigebracht habe. Taiwan (und damit auch meine Schulunterlagen) benutzt aber die traditionellen Langzeichen. Somit konnte ich nur bedingt von meinem bereits Gelernten profitieren… Beispiel: „Maschine“ ist 机 vereinfacht, aber 機 traditionell… oder „Netz“ 网 / 網. Die Zahlen sind zum Glück gleich!
Eine weitere Herausforderung ist der Umstand, dass die Wörter in einem chinesischen Satz nicht voneinander durch Leerzeichen getrennt werden. Beispiel: 今天晚上我騎到腳踏車很快‘ – Heute Abend bin ich sehr schnell Fahrrad gefahren. Viel Spass beim Erkennen der Wortgrenzen! Netterweise gibt es kaum Wörter, die länger als 3 Zeichen sind. Natürlich kann man beim Lesen aber nicht einfach jedes Zeichen seiner Tonalität entsprechend aussprechen, der Rhythmus muss die Wortgrenzen und auch das „anbinden“ von zusammengehörigen Silben berücksichtigen und je nachdem ändert sich auch der Ton. Die Tonwechsel sind SOWIESO UND ÜBERHAUPT das Schwierigste am Ganzen – jedenfalls finde ich das!
Wir kennen ja Tonwechsel in der gesprochenen Sprache ebenfalls, wenn wir z.B. eine Frage intonieren oder etwas mit ironischem, erstauntem oder zornigen Unterton sagen. Nur machen wir das in der Regel nur am Ende des Satzes oder für ein einzelnes Wort, im Chinesischen muss man das grundsätzlich immer und auch innerhalb eines einzelnen Worts und an den Silbengrenzen tun. Auch endet ein Satz natürlich nicht mit fallendem Ton. Föcking complicated, I tell you. Von den verschiedenen Zischlauten wollen wir noch gar nicht sprechen (Ch, Zh, Sch, Tsch, Dsch, Ts, Ji, Xi, usw.). Der obige Satz (今天晚上我騎到腳踏車很快) liest sich z.B. mit der „Melodie“ ‾ ‾ _ \ _ \ \ _\‾_\ (hoch, hoch, tief, fallend, tief, …., hoch, tief, fallend).
Soweit also zu den bisherigen Freuden des Chinesischlernens. Es ist ein bisschen anstrengend, aber es macht auch Spass, die eigenen hart erarbeiteten Fortschritte zu beobachten. Aktive Kommunikation, und sei es auch nur ein Minidialog, ist immer noch eine ungemeisterte Herausforderung. Ein Satz mag perfekt mit allen Tönen in der geistigen Vorstellung bereit liegen, der Mund macht dann meistens nicht mit. Und die Leute verstehen einen WIRKLICH überhaupt nicht, wenn auch nur ein Tönchen daneben ist (das gilt auch für meine Lehrerinnen).
Zusammenfassend am Schluss also noch Stand des PLHS Codes [5] am Ende der letzten Woche (nach 30 Stunden Unterricht):

Wenn ich die bisherigen Fortschritte anschaue, dann erscheint mir mein Ziel, Ende April einigermassen passables Chinesisch zu sprechen, durchaus noch realistisch. Insbesondere, falls ich bald eine Gastfamilie erhalten sollte.
Danke für’s mitlesen! Und bis bald, 拜拜了.
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[1] UBike, das: Geniales Veloleihsystem in Taipei. Überall verfügbar, spottbillig, gut im Schuss. Dazu gibt es an anderer Stelle sicher einmal noch mehr.
[2] Internet, das mobile: Äusserst wichtiges Hilfsmittel für jeden, der des Lesens von chinesischen Schriftzeichen unkundig ist. Google Lens verwandelt im Handumdrehen einen Haufen komischen Gekrakels mittels moderner Magie in einigermassen leicht verständliche Prosa.
Beispiel: Aus dem folgenden Chrüsimüsi…

… wird mir-nichts-dir-nichts das hier:

[3] Das stimmt so nicht ganz, viele Zeichen codieren mehrere Wörter, aber da der chinesische Zeichensatz über mehrere Zehntausend verschiedene Zeichen (die teilweise auch das gleiche Wort bedeuten) verfügt, denke ich, dass die Aussage im Kontrast zu einem Alphabet mit 26 Buchstaben (oder 62 Zeichen, wenn man Gross/Kleinschreibung und Zahlen mitrechnet) durchaus passt.
[4] Jaja, Diphtonge usw, ich weiss.
[5] Siehe erster Blogeintrag.


